Eiweißreiche Ernährung bei künstlicher Befruchtung: doppelte Erfolgsrate?
Oft werden bei der IVF proteinreiche Ernährung und Eiweißshakes empfohlen. Zu recht?

Oft wird bei einer künstlichen Befruchtung eine eiweißreiche Ernährung empfohlen. Es soll die Erfolgschancen erhöhen und einer Überstimulation vorbeugen.
Die Ernährung hat einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit und damit auch auf die Fruchtbarkeit von Mann und Frau. Auch hier haben wir in zwei Artikeln zusammengefasst, wie man die Spermienqualität und die Eizellqualität verbessern kann. Wer seine Ernährungsgewohnheiten umstellen möchte, sollte es griechischen Forschern zufolge mit einer mediterranen Diät versuchen.
Schon wieder Ernährungstipps…
Genau. Es nimmt kein Ende. Gerade ist man mit der Ananasdiät durch, kommt hier der nächste tolle Tipp. Keine Sorge, es geht eher um eine Bewertung einer Aussage, die schon seit gut 5 Jahren durch das Internet geistert: Wer mehr als 25% seiner Ernährung durch Proteine bestreitet, erhöht seine Chancen auf eine erfolgreiche IVF um das Doppelte (Schwangerschaftsrate) oder das Fünffache (Lebengeburtenrate).
Wie immer, wenn im Internet einer vom anderen vom anderen abschreibt, ist es hilfreich, sich mal zur Quelle der Aussage vorzuarbeiten. Anlass dazu war eine Diskussion in unserem Forum. Denn diese extreme Verbesserung der Erfolgsrate alleine durch eine proteinreiche Ernährung klingt zu gut, um wahr zu sein. Und mal ehrlich: Wäre es wirklich so, dann hätte es sich doch in den letzten 5 Jahren auch mal bis zu uns Reproduktionsmedizinern herumgesprochen, was für ein hohes Potenzial da bislang unentdeckt geblieben ist.
Mehr als 25% Protein = Verdopplung der Schwangerschaftsrate?
Wer hat also basierend auf welchen Daten diese Aussage machen können, dass 25% Protein in der Nahrung die Chancen vervielfacht? Und gibt es weitere Studien, die das belegen? Nun, fangen wir mit dem ersten an: Die Studie wurde im Jahre 2013 veröffentlicht. Und zwar von Jeffrey Russell im Rahmen eines Vortrags auf dem 61. Gynäkologenkongress der US-amerikanischen Frauenärzte. Mehr Details dann weiter unten, jetzt erst einmal der Inhalt der vorgestellten Studie:
Die Forscher fragten sich, woran es liegen kann, dass junge und gesunde Frauen ohne Übergewicht eine schlechte Qualität der Embryonen aufwiesen. Es bestand der Verdacht, dass es möglicherweise auch etwas mit der Ernährung zu tun haben könnte und es wurden daher 120 Frauen zwischen 36 und 37 Jahren zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt. Ihren Angaben auf einem Fragebogen zufolge ernährten sie sich zu 60-70% von Kohlenhydraten.
Deutliche Studienergebnisse
Die Patientinnen und ihre Ergebnisse wurden nun in zwei Gruppen aufgeteilt: Jene, deren Nahrung zu 25 und mehr Prozent aus Proteinen bestand und jenen, welche diese Quote unterschritten. Untersucht wurde, wie hoch der Anteil der (angestrebten) Blastozystentransfers war, wie hoch die Schwangerschaftsrate und wie hoch die Zahl der Lebendgeburten. Die Ergebnisse waren eindrucksvoll:

Auch wenn die Unterschiede schon auf den ersten Blick erkennbar sind, hier noch mal die Daten dazu:
Blastozysten | Schwangerschaftsrate | Lebendgeburten | |
> 25% Protein | 64% | 66,6% | 58,3% |
< 25% Protein | 33,8% | 31,9% | 11,3% |
Leider fehlen die Bezugsgrößen, aber vermutlich beziehen sich Schwangerschaftsraten und Lebendgeburten auf Transfer und die Blastozysten werden pro Punktion angegeben. Man ist möglicherweise schon erstaunt über eine Schwangerschaftsrate, die sich allein durch eine optimierte Ernährung verdoppeln lässt, aber die Zahl der Lebendgeburten macht mir wirklich zu schaffen: Enden wirklich zwei Drittel aller Schwangerschaften vorzeitig, nur weil sich die Frauen falsch ernähren? Kaum zu glauben.
Was sagt uns das?
Wenn man „Protein IVF 25%“ googelt, dann findet man eine Viertelmillion Seiten, die sich auf diese Studie beziehen. Ausnahmslos mit der optimistischen Aussage „eine eiweißreiche Diät verdoppelt die Schwangerschaftsrate„. Hingegen kommt niemand auf die Idee, eine weitere Kernaussage dieser Studie zu zitieren, nämlich dass zwei von drei Schwangerschaften vorzeitig enden, wenn sich die Frau nicht richtig ernährt. Oh weh…
Keine Sorge.
Wenn man also nicht nur die positive Nachricht der Studie herausdestilliert, sondern auch die schlechte Nachricht zur Kenntnis nimmt, dann wird man sorgenvoll seinen Diätplan durchsehen. Und feststellen, dass 25% Protein richtig viel ist. Eigentlich kaum zu schaffen, wenn es auch noch ein wenig schmecken soll. Und jetzt die gute Nachricht: Es ist auch nicht nötig.
Wenn man nach der Quelle all dieser Informationen sucht, dann wird man bei Medscape fündig1. Und zwar ausschließlich dort. Dass eine Studie erst einmal nur in einem Vortrag publiziert wird, ist der normale Gang der Dinge. Aber wenn man eine gute Studie mit wichtigen Ergebnissen durchgeführt hat, dann wird man diese Ergebnisse üblicherweise auch in einer Fachzeitschrift publizieren. Das ist nicht geschehen. Und sollte skeptisch machen. Dann ist es sinnvoll, einmal nachzusehen, ob Jeffrey Russell noch etwas anderes publiziert hat. Ja, hat er. Über Verletzungen beim Tanzen… Wollen wir ihm zugute halten, dass es sich vermutlich um einen Namensvetter handelt.
Es ist also durchaus nicht verkehrt, wenn man sich eiweißreich und kohlenhydratarm ernährt. Aber es führt nicht gleich zu drastischen Konsequenzen, wenn man die 25% Proteinanteil nicht erreicht
Und? gibt es noch Studien, die nicht gefaked sind?
Ja, aber wenige und mit mäßig hilfreicher Aussage. Eine Studie aus den USA2 untersuchte den Ausgang im Hinblick auf den Verzehr von Milchprodukten bei 232 Frauen in 353 IVF-Zyklen. Hier zeigte sich ein Trend zur Verbesserung der Schwangerschaftsrate mit zunehmender Menge an verzehrten Milchprodukten, jedoch nur bei Frauen ≥35 Jahren. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass es zu wenige verlässliche Daten gibt, um diesen Zusammenhang abschließend bewerten zu können. Darüber hinaus fehlen nachvollziehbare Erklärungsmodelle, warum Milchprodukte die Schwangerschaftsrate verbessern.
Die Autoren einer weiteren Studie untersuchten nur den Einfluss von Milchprodukten auf die Fruchtbarkeit, also nicht in IVF-Zyklen3. Es erfolgte eine Befragung mit Hilfe von standardisierten Fragebogen (Internetbefragung) bei 2426 Frauen in ≤6 GvnP-Zyklen (Also auf normalem Wege). Auch hier waren die Ergebnisse inhomogen und ließen keine klare Aussage zu.
Und wie sieht es bei Übergewicht und/oder PCO-Syndrom aus?
Nun scheinen die Ergebnisse bei genauer Betrachtung ja eher übersichtlich zu sein. Hilft eiweißreiche Ernährung aber vielleicht bei Frauen, bei denen eher grundsätzlich Vorteile bei einer Diät zu erwarten sind? Also jenen mit einer Insulinresistenz und/oder Übergewicht und/oder einem PCO-Syndrom? Hier sieht es ein wenig besser aus, wie eine Studie aus 2023 zeigt4.
Hier gab es zwar keine Kontrollgruppe, sondern nur ein Vergleich „vorher/nachher“, aber aussagekräftiger Ergebnisse. Zumindest, was die Änderung der Blutfette und der Insulinresistenz anging. Hier zeigte sich – wenig überraschend – eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse. Sah man sich die Schwangerschaftsraten bei der künstlichen Befruchtung an, dann ließ sich auch hier eine Tendenz zur Verbesserung erkennen, aber leider war diese nicht statistisch signifikant.
Eiweißreiche Ernährung + Kinderwunsch: Zusammenfassung
Man muss nicht 25% seiner Nahrung mit Proteinen bestreiten, wenngleich eine proteinreiche und kohlenhydratarme Ernährung gesund ist. Die „25%-Studie“ gehört in den Giftschrank zu den anderen lausigen, schlampig durchgeführten und fehlinterpretierten medizinischen Publikation, die es leider immer wieder gibt. Und die es – aus welchen Gründen auch immer – zu einer weiten Verbreitung bringen.
Bild: „Homemade Yogurt“ von wuestenigel
Noch Fragen?
Dann haben Sie in unserem Kinderwunschforum die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen oder Fragen an unsere Experten zu richten. Und hier finden Sie die Übersicht über die andere Foren von wunschkinder.de. Die am häufigsten gestellten Fragen haben wir nach Themen geordnet in unseren FAQ gesammelt.
Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.
Literatur
- Low-Carb Diet Improves In Vitro Fertilization – Medscape – May 08, 2013.
- Afeiche MC, Chiu YH, Gaskins AJ, et al.
Dairy intake in relation to in vitro fertilization outcomes among women from a fertility clinic.
Hum Reprod. 2016;31(3):563-71. - Wise LA, Wesselink AK, Mikkelsen EM, et al.
Dairy intake and fecundability in 2 preconception cohort studies.
Am J Clin Nutr. 2016;105(1):100-110. - Palafox-Gómez, C., Ortiz, G., Madrazo, I., & López-Bayghen, E. (2023). Adding a ketogenic dietary intervention to IVF treatment in patients with polycystic ovary syndrome improves implantation and pregnancy. Reproductive Toxicology, 119, 108420.
Eine eiweissreiche Nahrung nehmen ja (bewusst) auch Leute zu sich, die Sport treiben und eventuell abnehmen wollen, ohne Muskelmasse zu verlieren… Kann es nicht auch sein, dass diese förderliche eiweissreiche Nahrung schlicht und einfach auch damit zusammenhängt, dass Frauen die Sport treiben und einen niedrigeren BMI haben generell bessere Chancen haben bei IVF/ICSI und weniger Probleme haben als wir unsportlichen Frauen mit etwas erhöhtem BMI? Wurde das in die Studien als Faktor einkalkuliert?
>Edit 5 Jahre später gibt es zu der Frage von Claru zumindest den Hinweis, dass diese berechtigt war. Diätetische Maßnahmen scheinen mehr zu bringen bei Übergewicht, Insulinresistenz und PCO.
In dieser Studie wurde nichts gemacht, was man üblicherweise von gut designten Studien erwarten würde. Soe zum Beispiel die körperliche Aktivität abfragen oder zumindest den BMI als einflussnehmenden Faktor mit einbeziehen. Das ist ja gerade der Knackpunkt. Diese Studie ist nicht das Papier wert, deswegen wurde sie ja auch in keine Fachzeitschrift gedruckt. Grundsätzlich geht Ihre Überlegung in die richtige Richtung, eine bewusste Ernährung ist immer gut, auch für die Fruchtbarkeit. Aber dieser Mythos mit der scharfen Grenze von 25% ist in keinster Weise belegt. Und da 25% auch bei gesunder Ernährung nur schwer erreichbar ist, dient dieser Artikel vor allem dazu, dieser im Internet kursierende Behauptung mal die wissenschaftlichen Fakten entgegenzustellen.