Mehrlingsrisiko durch Folsäure erhöht?
Frauen mit Kinderwunsch wird die Einnahme von Folsäure empfohlen, da ein Mangel an Folsäure kann zu so genannten Neuralrohr-Defekten beim Kind führen kann.
Das Mehrlingsrisiko scheint in Abhängigkeit vom Folsäurespiegel im Blut zuzunehmen, so die Ergebnisse einer Studie, welche Wissenschaftler der Universität von Aberdeen in Großbritannien in der Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlicht wurde1.
In dieser Studie wurden die Folsäurespiegel von 602 Frauen untersucht, die sich einer „künstlichen Befruchtung“ unterzogen. Paul Haggarty und Kollegen vom Rowett Research Institute and Department of Obstetrics and Gynaecology der Aberdeen University in Großbritannien schlossen 602 Frauen nach einer IVF-Behandlung in eine prospektive Vergleichsstudie ein. Dazu setzten die Forscher die Aufnahme von Folsäure über die Nahrung und Nahrungsergänzungsmittel, die Blut-Folsäure-Werte und Variationen in sechs Genen, die mit dem Folsäuremetabolismus zusammenhängen, in Relation zum Ergebnis der IVF-Behandlung.
Testteilnehmerinnen mit hohen Folsäure-Spiegeln im Blut hatten dabei eine um 52 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, Zwillinge zu gebären, wenn ihnen für die Befruchtung mehrere Embryonen transferiert wurden. Bei Frauen, die eine hohe Mengen Folsäure in ihren Blutkörperchen hatten, stieg die Rate um 28 Prozent.
Dieses Ergebnis stimmt mit den aktuellen Erfahrungen in den USA überein, wo die Anreicherung von Mehl mit Folsäure im Jahr 1998 mit einer 11- bis 13-prozentigen Erhöhung der Mehrgeburtenhäufigkeit nach einer Fertilitätsbehandlung einher ging.
Zunahme der Mehrlinge, nicht aber der Schwangerschaftsrate
Insgesamt stieg die Chance, bei künstlicher Befruchtung überhaupt ein Kind zu bekommen, durch hohe Folsäurewerte dagegen nicht, wie es in dem Bericht hieß. Zudem sei die bloße Einnahme hoher Dosen des Vitamins B9 wahrscheinlich nicht allein für den Zwillings-Effekt verantwortlich. Es gebe Hinweise darauf, dass Gene die Verarbeitung des Vitamins im Körper steuern und damit gleichfalls Einfluss auf den Erfolg der Schwangerschaft haben.
Bei normaler Konzeption besteht dieser Zusammenhang nicht
Frühere Studien, die einen solchen Zusammenhang auch nachweisen konnten, wenn das Kind auf normalem Wege gezeugt wurde, konnten in der Zwischenzeit mehrfach widerlegt werden. Aktuell konnte nämlich nachgewiesen werden, dass durch die Anreicherung von Nahrungsmitteln in den USA ein Anstieg der Zwillingsrate festzustellen war, dies jedoch in weitaus geringerem Maße für Frauen galt, die ohne Kinderwunschbehandlung schwanger wurden2. Zum gleichen Ergebnis kam eine norwegische Untersuchung3.
Der Hauptautor der aktuellen Studie Dr. Haggarty kommt zu dem Schluss, dass man den in einer Kinderwunschbehandlung befindlichen Frauen empfehlen sollte, die empfohlenen Dosierungen an Folsäure nicht zu überschreiten, um Mehrlingsschwangerschaften zu vermeiden. In Deutschland werden 400µg Folsäure pro Tag empfohlen. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass genetisch bedingte Störungen des Folsäurestoffwechsels (MTHFR-Mutation) recht häufig sind und dann eine höhere Dosierung angezeigt ist. Möglicherweise sollte vor einer geplanten Kinderwunschbehandlung ein Ausschluss solcher Enzymdefekte erfolgen.
Links zum Thema Folsäure:Quarks (WDR-Fernsehen), Gesundheitssurvey 1998 Robert-Koch-Institut, Senkung des Herzinfakt-Risikos durch Folsäure (Ärztezeitung)
[1]P Haggarty et al.
Effect of B vitamins and genetics on success of in-vitro fertilisation: prospective cohort study Lancet 2006; 367: 1513
[2]Signore C, Mills JL, Cox C, Trumble AC
Effects of folic acid fortification on twin gestation rates.
Obstet Gynecol. 2005 Apr;105(4):757-62
[3]Vollset SE, Gjessing HK, Tandberg A, Ronning T, Irgens LM, Baste V, Nilsen RM, Daltveit AK
Folate supplementation and twin pregnancies
Epidemiology. 2005 Mar;16(2):201-5
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Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.
Als wir letzte Woche unsere Salzvorräte auffüllten, wunderte ich mich zunächst, warum das Salz aus der neuen Packung etwas gelblicher war als das ältere. Dann schaute ich auf die Packung. "Mit Folsäure angereichert". Prinzipiell freue ich mich ja darüber, dass man diesen Schritt jetzt offensichtlich auch in Deutschland gegangen ist. … Schauen wir mal auf die Mehrlingsrate 2006 im IVF-Register.
Sehr interessanter Artikel. Ich hoffe, Sie haben nichts gegen einen Link zu einer Auflistung von Studien die in Humrep (Oxford Journals) veröffentlicht sind und einen guten Überblick über die wissenschaftlichen Aspekte der Folsäureproblematik/MTHFR-Enzymstörung im Hinblick auf Reproduktion geben (leider englischsprachig):
Human Reproduction (MTHFR)
vorzüglicher, gedanklicher Ansatz auf derartige Enzymstörungen vor Behandlungsbeginn zu screenen…ich würde aber eher noch weiter gehen wollen -> warum nur screeenen bei Frauen, die der assistierten Reproduktion bedürfen…auch mit der Fähigkeit spontaner Empfängnis ausgestattet sind Fehlgeburten wegen Mißbildungen (die vermeidbar wären!) kein schönes Erlebnis :-(.
Weil eine hohe Folsäuredosis bei spontaner Konzeption offenbar nicht mit einem erhöhten Mehrlingsrisiko einhergeht uns sich die Frage stellt, ob man statt zu screenen lieber von vorneherein eine höhere Dosis als die üblicherweise empfohlenen 400µg geben sollte.
Und bei IVF screenen, weil man sonst das Mehrlingsrisiko erhöht, wenn man einfach eine hohe Dosis gibt. Das waren so meine (unausgegorenen) Überlegungen dazu
Der Ansatz ihrer Überlegungen ist sicher praktikabler – allerdings haben erhöhte Homocysteinspiegel/Folsäureverwertungsstörungen durch genetische Prädisposition ja leider nicht nur Auswirkungen auf das Reproduktionsgeschehen…die fachliche Diskussion dazu ist zwar immer noch etwas kontrovers, aber es scheint sich die Linie der kenntnisreichen Spezialisten durchzusetzen, die in der HCY-Erhöhung einen eigenen Faktor für kardiovaskuläre Risiken sehen…weitere Links an dieser Stelle verkneife ich mir jetzt mal ;-).
Das ist diagnostisch sicher nicht uninteressant – Frauen könnten gezielt Prävention betreiben für 2 mögliche Problemkreise, die einer Ursache entspringen (z.B. MTHFR-Mutation) und mit einer Untersuchung geklärt werden können: mögliche reproduktive Probleme UND mögliche kardiovaskuläre Probleme.
…dachte ich jetzt mal im Sinne von Prävention und sinnvoll eingesetzter B9-Prophylaxe (auch zur Vermeidung langfristiger Kosten durch Folgeerkrankungen).
LG Reaba
was mich mal dabei interessieren würde, wenn bei ART das Mehrlingsrisiko steigt, liegt das dann vielleicht einfach nur daran, dass sich mehr der im Uterus vorhandenen Embryonen einnisten als sonst bei ART? Bei natürlicher Empfängnis ist ja meist nur 1 Embryo vorhanden -> keine erhöhte Zwillingsrate.
Dann stellt sich mir irgendwie die Frage: Welche Faktoren lagen bei den Frauen im entsprechenden Zyklus vor, so dass es zu einer Einnistung kam?Wurden diese Faktoren vielleicht einfach nur durch den erhöhten Folsäurespiegel so verstärkt/beeinflußt, dass mehr Embryos sich einnisten konnten/aufgenommen wurden?
Oder sind meine Gedankengänge jetzt völlig wirr und falsch?
Viele Grüße,
KT
Nein, das ist nicht wirr und falsch, sondern genau die Frage, die zu klären wäre. Und die zweite Frage: wenn sich mehr Embryonen einnisten, also möglicherweise die EInnistungsbedingungen günstiger zu sein scheinen, warum ist dann nicht generell die Schwangerschaftsrate höher sondern nur die Mehrlingsrate?
Gibt es denn Aussagen dazu, ob die Zwillinge der Paare nach assistierter Befruchtung in bezug auf die Folsäurestudie häufiger eineiig oder zweieiig waren?
ja, zweieiig
relativ simpel und unwissenschaftlich erklärt würde ich das erhöhte Vorkommen von Mehlingsschwangerschaften unter ART mit Folsäuresubstitution (>400µg) so sehen, daß durch die Zugabe des Vitamins ggfs. die strukturelle Integrität der DNA schon bei rechtzeitiger Aufsättigung vor PU erhöht sein könnte. Das würde dann einfach zu einer besseren genetischen Qualität der Chromosomalen DNA der Eizellen führen und ebenfalls eventuell zu weniger Fehlern bei Mitose und Meiose führen (oder dort greifende Korrekturmechanismen befördern)…letztlich also zu genetisch stabileren Embryonen.
Eine weitere Theorie könnte die Senkung eines durch viel Faktoren verursachten erhöhten Homocysteinspiegels sein, der möglicherweise nicht nur beim bereits entstandenen Embryo teratogen wirken kann, sondern möglicherweise diese Einflüsse ausch schon auf Eizellen ausübt. Hier wiederum die ähnliche These wie auch oben schon erwähnt: frühzeitige Aussättigung ->HCY-Spiegel sinkt ->Eizellen reifen qualtativ besser.
Letzte Theorie: rechtzeitige B9-Aufsättigung vorausgesetzt -> HCY-Spiegel sinkt -> immunologisch-gerinnungsbedingtes Geschehen bei der Einnistung kann optimiert sein und so entsteht eine, bei höherem Embryonenangebot auch höhere Quote der Einnistung. Dafür spricht übrigens auch der Zusammenhang, daß Frauen mit MTHFR-Störung eine überaus niederige Qoute von Mehrlingsschwangerschaften nach ART haben, weil die Speicher- und Verwertungsfähigkeit von B9 einfach nur sehr eingeschränkt vorhanden ist (dazu existiert auch eine Studie, die ich leider gerade nicht greifbar habe).
Alles Theorie – um diese Zusammenhänge zu wissen wäre viel besser ;-).
das erklärt alles die Erhöhung der Mehrlingsrate, mir fehlt aber immer noch die Erklärung, warum die Schwangerschaftsrate insgesamt nicht ansteigt (wenn es denn wirklich so ist)
deduktiv wäre die letzte Theorie (Optimierung der Immunologisch-gerinnungsmäßigen Situation) dann am wahrscheinlichsten – war unter Studienbedingungen sichergestellt, daß die B9-Einnahme bis zum Ende der Schwangerschaft auf gleichem Niveau blieb oder ist man verfahren, wie in D immer noch allgemein geraten wird: aufsättigen, relativ hohe Dosis (~800µg) substituieren und dann im Laufe der Schwangerschaft reduzieren oder gar absetzen?
Dann wären nämlich immer noch genug Gründe denkbar, warum eine kurzfristig stattgefundene Nidation sich nicht zu einer gelungenen Schwangerschaft entwickelt und diese Rate dann insgesamt auch nicht ansteigt…wäre auch interessant zu wissen, in wie weit biochemische Schwangerschaften erfasst wurden (und vielleicht das abortive Geschehen ausgewertet wurde).
Der Artikel verdreht meiner Wissens nach einiges. Nicht die Folsäure ist "Schuld" an Mehrlingsgeburten, sondern die künstliche Befruchtung bzw. die oftmals dafür angewendete Hormontherapie.
Die Folsäure bewirkt nur, dass diese den Effekt verstärken. Wer künstliche Befruchtung oder eine Hormontherapie macht, sollte wirklich ausnahmsweise alle Ratschläge der Ärzte befolgen.
@ Ragi: Einfach den Artikel nochmal lesen. Es lohnt sich, wenn man ihn verstanden hat. Ich werde das jetzt nicht erklären, steht alles ausführlich oben im Artikel.
"Ausnahmsweise alle Ratschläge der Ärzte befolgen" tststs….