Was ist die kumulative Schwangerschaftsrate und wie berechne ich sie?

kumulative Schwangerschaftsrate und Schwangerschaftsrate nach Alter bei ICSI
Was ist eigentlich die kumulative Schwangerschaftsrate und wie kann ich sie altersabhängig berechnen? Wie ist die kumulative Baby-Take-Home-Rate bei IVF?
Bild zu vergrößern anklicken. Daten des Deutschen IVF-Registers

Erfolgsrate 80% bei Frauen unter 35

Wenn man weiß, dass die durchschnittliche Schwangerschaftsrate bei einer künstlichen Befruchtung – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – um die dreißig Prozent beträgt, dann wundert man sich über solch vollmundige Aussagen wie in der Überschrift zurecht. Solche Ergebnisse beziehen sich jedoch auch nicht auf einzelne Zyklen, sondern die kumulative Schwangerschaftsrate wird dort angegeben. Also beispielsweise wie viele Frauen innerhalb von bis zu vier Behandlungszyklen schwanger werden.

Noch einmal deutlicher: Das bedeutet übrigens nicht, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft im vierten Zyklus 80% beträgt, sondern, dass die Chance innerhalb von 4 Zyklen schwanger zu werden insgesamt 80% beträgt.

Kumulative Schwangerschaftsrate: Berechnung

So, nun sehe ich schon einige Leser/innen grübeln: 80% innerhalb von 4 Versuchen? Das sind dann doch nur 20% pro Versuch und nicht 30? Wäre diese kumulative Schwangerschaftsrate nicht sogar bei 120% nach vier Behandlungen? Tja, verwirrend und natürlich völlig falsch.

Geht man von einer gleich hohen Chance für den Eintritt einer Schwangerschaft in den ersten 4 Zyklen aus (und das ist berechtigt) lässt sich die gesamte Wahrscheinlichkeit innerhalb von 4 Zyklen recht leicht berechnen. Der negative Ausgang einer Behandlung hat statistisch gesehen keinen Einfluss auf die darauf folgenden Therapien, auch wenn man dies gefühlsmäßig oft anders sehen wird. Gehen wir also mal von einem Paar aus, dessen Chance bei 50% pro Behandlungszyklus liegt. Das gibt es ja und es ist einfacher zu berechnen.

100 Paare mit einer individuellen Chance von 50% pro Versuch gehen in eine Behandlung.

  • Im ersten Zyklus werden 50% schwanger und die andere Hälfte eben nicht.
  • Im zweiten Zyklus werden die restlichen 50 Paare nun aber nicht alle schwanger (bzw. die Frauen), sondern eben wieder nur die Hälfte dieser Paare. Das bedeutet also, dass nach dem zweiten Zyklus noch 25 weitere Frauen schwanger geworden sind und 25 übrigbleiben, die noch keinen Erfolg hatten.
  • Im dritten Zyklus werden von den verbliebenen 25 Paaren weitere 50% erfolgreich behandelt, also 12,5, die wir mal freundlich auf 13 aufrunden. Bleibt also nach drei Versuchen ein Rest von 12 Paaren, die immer noch auf eine Schwangerschaft warten. 88 sind inzwischen erfolgreich behandelt worden.
  • Die sogenannte kumulative Schwangerschaftsrate nach 3 Versuchen beträgt demnach 87,5% unter diesen optimalen Voraussetzungen. Grundsätzlich lassen sich diese Rechenmodelle auch auf andere Werte übertragen, nur nicht so einfach rechnen.

Wie berechne ich die kumulative Schwangerschaftsrate für eine bestimmte Altersgruppe?

Dazu muss man erst einmal wissen, wie hoch hier die Chance auf eine Schwangerschaft pro Zyklus ist. Daten dazu gibt es im aktuellen Jahrbuch des Deutschen IVF-Registers. Die Graphik oben mit zusätzlicher Legende ist auf Seite 29 zu finden. Nehmen wir mal die Daten für 40jährige Frauen. Die durchschnittliche Schwangerschaftsrate beträgt für diese Altersgruppe 22,6% pro Transfer. Sind die Voraussetzungen günstig (insgesamt mindestens 4 befruchtete Eizellen), dann steigen die Chancen pro Zyklus auf 25,5%.

Seine individuellen Voraussetzungen muss man selbst einschätzen, aber nehmen wir jetzt einmal die 22,6%. Von 100 Frauen mit dieser Schwangerschaftswahrscheinlichkeit werden dann 23 im ersten Zyklus schwanger. Bleiben 77, die einen weiteren Behandlungszyklus benötigen. Erneut werden 23% schwanger. Diesmal jedoch nicht von 100 sondern von 77.

77/100 x 22,6 = 17,04 werden im zweiten Zyklus schwanger, bleiben 60 Frauen.

60/100 x 22,6 = 13,56 werden im dritten Zyklus schwanger, bleiben 46 Frauen.

46/100 x 22,6 = 10,4 werden im vierten Zyklus schwanger, bleiben 36 Frauen übrig, die innerhalb der ersten 4 Zyklen keine Schwangerschaft erreichten. Die kumulative Schwangerschaftsrate innerhalb von vier Behandlungszyklen beträgt als 100 – 36 => 64%. Sind die Voraussetzungen günstiger als durchschnittlich (≥ 4 befruchtete Eizellen), dann erhöht sich diese Zahl auf 69%.

Auf die Baby-Take-Home-Rate kommt es an

Leider führen nicht alle Schwangerschaften zur Geburt eines Kindes („Baby-Take-Home-Rate“)und Fehlgeburten sind mit zunehmendem Alter häufiger. Bei der beispielhaften 40-jährigen Frau, der unsere Berechnungen jetzt gelten, liegt sie bei 32%. Mit anderen Worten: Ein Drittel der Schwangerschaften werden vorzeitig enden. Zieht man dieses Drittel also ab, ergibt sich eine „Baby-Take-Home-Rate“ von ca. 41% innerhalb der ersten 4 Behandlungen.

Auch wenn ich hier kürzlich darüber berichtet hatte, halte ich nicht viel von Rechnern, die einem eine individuelle Schwangerschaftsrate ausgeben, wenn man einige Daten eingibt. Leider ist die unveränderliche Basis aller Berechnungen das Alter, gefolgt von der Dauer des unerfüllten Kinderwunsches. Aber auch Nikotinkonsum und Übergewicht spielen eine Rolle, so dass es besser ist, die oben genannten Berechnungen – individuell angepasst – zu Basis einer Therapieplanung zu nehmen. Denn nur eine realistische Einschätzung der individuellen Prognose ermöglich es dem Paar und dem behandelnden Arzt, die richtige Entscheidung zu treffen. Wobei „richtig“ dann bei gleichen Voraussetzungen dann auch beim jeweiligen Paar etwas anderes bedeuten kann, denn nicht nur medizinische Fakten und Statistik spielen bei der Entscheidungsfindung eine Rolle, sie bieten jedoch die Basis dafür.

Noch Fragen?

Dann haben Sie in unserem Kinderwunschforum die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen oder Fragen an unsere Experten zu richten. Und hier finden Sie die Übersicht über die andere Foren von wunschkinder.de. Die am häufigsten gestellten Fragen haben wir nach Themen geordnet in unseren FAQ gesammelt.

Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.
 

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Kommentar

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3 Kommentare
  1. Schokl schreibt

    Zählen nun die Kryos als einzelne, eigenständige Transfere dazu oder gilt hier ein versuch=icsi+die Kryos?

  2. Silke schreibt

    Hallo Dr. Breitbach,

    wichtiges Thema und gut, dass Sie es aufgreifen.

    Insgesamt würde ich mich freuen, wenn viele Kiwuzentren in Deutschland mit offeneren Karten spielen würden.
    Warum nicht direkt von der Baby Take Home Rate sprechen und den Paaren ein realistischeres Bild von deren Erfolgschancen aufzeigen?

    Ihre Rechenbeispiele finde ich gut, obgleich eine angenommene Schwangerschaftsrate von 50% pro Paar extrem hoch gegriffen ist und mir Unbehagen bereitet.
    Es ist einfach nicht so, dass von 10 Paaren, die in Ihrem Wartezimmer sitzen und eine IVF machen 5 davon mit einem Baby nach Hause gehen.

    Ehrlicher und wahrscheinlicher sind 2 oder 3 je nach Alter der Frau.

    Warum also nicht (wie sie es machen!) auf die Fehlgeburtenrate und die wichtige Bedeutung des Alters der Frau hinweisen? Mit kumulativen Schwangerschaftsraten zu werben finde ich persönlich unseriös und dies wäre für mich ein Grund dieses Kiwuzentrum nicht aufzusuchen.

    Ich persönlich finde Schwangerschaftsratenrechner wie OPIS oder auch andere gut und sehr hilfreich. Denn sie helfen, den Paaren eine erste Einschätzung zu geben, die zwar erst mal ernüchternd ist, aber damit vielleicht vor zu großen Enttäuschungen schützt.

    Für den Rechner OPIS gehören übrigens – liebe Schokl – alle im Rahmen einer Punktion erzielten Eizellen zu einem Versuch. Das heisst Frischeversuch + Kryos = 1 Versuch.

    Kinderwunsch und Kinderwunschbehandlung bedeuten oft eine Mittel- oder Langstrecke gehen zu müssen. Klar gibt es die, die einen "Spurt" mit nur einem Versuch hinlegen und direkt schwanger werden.

    Eine offenere und ehrlichere Einschätzung der Chancen schafft eine authentischere Beziehung zwischen Arzt und Kinderwunschpaar und damit die Basis, gemeinsam diesen unter Umständen langen Weg zu gehen.

  3. Elmar Breitbach schreibt

    @ Schokl Die Zahlenbasis ist oben genau beschrieben, siehe auch den Verweis auf das DIR.