ICSI: Erben die Söhne die Unfruchtbarkeit ihrer Väter?

Die Behandlung der männlichen Unfruchtbarkeit mit Hilfe der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) wird seit den Neunzigerjahren erfolgreich durchgeführt und inzwischen wurden weltweit ca. sechs Millionen Kinder mit dieser Methode gezeugt. So lange man diese Therapie nun bereits nutzt, so lange machte man sich Gedanken über mögliche Nebenwirkungen und Folgen der ICSI.

Gibt es einen Einfluss auf die eigene Fruchtbarkeit, wenn man durch eine ICSI entstanden ist?

Offenbar ja, so zumindest das Ergebnis einer Studie aus Belgien, die aktuell publiziert wurde. Im Vergleich zu normal gezeugten jungen Männern zeigte sich eine deutliche Einschränkung der Fruchtbarkeit, wenn eine ICSI zu ihrer Entstehung notwendig war.

Für die Studie wurden die Daten von 54 Männern zwischen 18 und 22 Jahren ausgewertet und mit den Spermiogrammen von 57 gleich alten Männern verglichen, die auf normalem Wege gezeugt worden waren. Männer, die nach einer ICSI-Behandlung geboren wurden, verfügten nur über rund die halbe Spermien-Konzentration pro Milliliter Ejakulat und eine um zwei Drittel geringere Gesamtspermienzahl im Vergleich mit ihren natürlich empfangenen Altersgenossen. Auch die Beweglichkeit der Spermien war deutlich geringer.

Foto von Iqbal Osman1
Wenige und schlecht bewegliche Spermien: Die ICSI kann helfen

Das sind jedoch nur vergleichende Angaben. Auch mit der Hälfte der Spermien kann man noch fruchtbar sein. Orientiert an den Normwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO 2010) wurde die Konzentration von 15 Millionen pro Milliliter dreimal häufiger unterschritten, wenn eine ICSI-Behandlung der eigenen Geburt vorausging.

Nicht wirklich überraschend

Oftmals findet man bei Männern mit schlechter Spermienqualität keine fassbare Grund für diese Einschränkung und somit auch keine gezielte Behandlungsmöglichkeit. Man kann nur vermuten, dass zum Teil auch genetische Ursachen vorliegen, die sich auch durch eine humangenetische Untersuchung aus dem Blut nicht feststellen lassen. Daher waren die Reproduktionsmediziner schon immer die Auffassung, die Fertilitätsstörung des Vaters könne auf den Sohn weitergegeben werden. Bis jetzt konnte man dies nur vermuten, jetzt erst konnte der Nachweis erbracht werden, dass es tatsächlich der Fall ist.

Die Ergebnisse sind nicht unerwartet„, so Professor Van Steirteghem, Emeritus der „Vrije Universiteit Brussel“ an der die ICSI auch „erfunden“ wurde. „Diese Befürchtung teilten wir den Paaren bereits von Beginn als mögliches Risiko der Behandlung mit. Für all diese zukünftigen Eltern war dies jedoch kein Grund, die ICSI nicht durchführen zu lassen, da sie der Auffassung waren:’wenn uns die ICSI geholfen hat, wird sie auch unserem Sohn helfen können‘. Diese ersten Ergebnisse der ältesten Gruppe von durch ICSI gezeugten jungen Männern weisen in der Tat darauf hin, dass ein Teil der eingeschränkten Fruchtbarkeit des Vaters auf die Söhne weitergegeben wurde, wenn die Behandlung wegen eingeschränkter Samenqualität erfolgte„.

Spermienqualität des Sohns also wie beim Vater?

Wenn man nun aus den Ergebnissen schließt, aus der Einschränkung der Fruchtbarkeit des Vaters die zukünftige individuelle Fertilität des Sohns abschätzen zu können, so liegt man damit falsch, so Van Steirteghem. „Es ist bekannt, dass genetische Faktoren eine Rolle in bei der männlichen Unfruchtbarkeit spielen, jedoch haben andere Faktoren ebenfalls einen Einfluss„.

Was für Konsequenzen hat das für die Behandlung?

Zunächst muss man diese Ergebnisse mit größeren Fallzahlen kontrollieren,aber seien wir ehrlich: Auch damit wird man die gleichen Ergebnisse erwarten und daher darf man sich also bereits jetzt Gedanken machen, was dies für die Paare und natürlich auch ihren Nachwuchs bedeutet.

In jedem Fall ergibt sich meiner Einschätzung nach eine klare Pflicht für die Aufklärung der Kinder durch die Eltern (die Aufklärung der Eltern durch den Arzt sehr ich als selbstverständlich an). Kinder über die Art ihrer Entstehung zu informieren ist sicherlich in jedem Falle sinnvoll. Bei Jungens sollte man darüber hinaus auch darauf hinweisen, in einer Partnerschaft mit Kinderwunsch beizeiten ein Spermiogramm durchführen zu lassen.

Auch interessant: Eine Sammlung englischsprachiger Aussagen von Experten zu den Ergebnissen dieser Studie. Und alle einer Meinung. Was vermutlich das überraschendste Ergebnis dieser Studie ist.


Belva F, Bonduelle M, Roelants M, Michielsen D, Van Steirteghem A, Verheyen G, Tournaye H.
Semen quality of young adult ICSI offspring: the first results.
Hum Reprod. 2016 Oct 5. [Epub ahead of print]

Foto von Iqbal Osman1

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Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.
 

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Kommentar

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6 Kommentare
  1. mjuka schreibt

    Genau diese Frage beschäftigt mich schon länger. Unser Sohn weiß, wie er gezeugt wurde und wir werden ihm auf alle Fälle sagen, dass er die Unfruchtbarkeit geerbt haben könnte. Dieselbe Frage habe ich bei unserer Tochter: Vererbt sich Endometriose auch? Nur ist diese Frage nicht ICSI-spezifisch.

    Danke für diesen Artikel, der Klarheit schafft.

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  4. […] Die ältesten Kinder, die mit Hilfe der ICSI gezeugt wurden, sind inzwischen Mitte zwanzig. Der Zeitraum zur Nachbeobachtung ist inzwischen also bereits lang genug, um viele Daten zur Entwicklung der Kinder eheben zu können. Die Ergebnisse sind beruhigend. Wesentliche Erhöhungen des Fehlbildungsrisikos ergeben sich durch die künstliche Befruchtung nicht. Abschließende Aussagen sind – wie so oft in der Medizin – nicht möglich. Immer wieder weisen Studien auf neue Zusammenhänge mit bestimmten Erkrankungen hin. Zuletzt darauf, dass mit ICSI gezeugte junge Männer selbst eine eingeschränkte Fruchtbarkeit haben könnten. […]

  5. […] Die ältesten Kinder, die mit Hilfe der ICSI gezeugt wurden, sind inzwischen Mitte zwanzig. Der Zeitraum zur Nachbeobachtung ist inzwischen also bereits lang genug, um viele Daten zur Entwicklung der Kinder eheben zu können. Die Ergebnisse sind beruhigend. Wesentliche Erhöhungen des Risikos für Fehlbildungen ergeben sich durch die künstliche Befruchtung nicht. Abschließende Aussagen sind – wie so oft in der Medizin – nicht möglich. Immer wieder weisen Studien auf neue Zusammenhänge mit bestimmten Erkrankungen hin. Zuletzt darauf, dass mit ICSI gezeugte junge Männer selbst eine eingeschränkte Fruchtbarkeit haben könnten. […]

  6. An schreibt

    @mjuka: mit Endometriose funktioniert es auch nach dem Prinzip "alles kann, nichts muss". Es gibt Situationen der familiären Häufung, aber bei mir in der Familie hat absolut keine Frau etwas, aber ich ordentlich (Endo 4, seit der Pubertät, mehrere OPs). Bei meinen Töchtern werde ich sicherlich aufpassen, wie sich das entwickelt.