Handys schaden Spermienproduktion. Ist das so?
Seitdem es Handys gibt, wird die Wissenschaft nicht müde, vor den Folgen der Nutzung zu warnen. Handystrahlen sind machen krank, sind tödlich oder minders zumindest die Frauchtbarkeit. Studien, welche vor allem vieltelefonierenden Männern, eine schlechte Fruchtbarkeit belegten, gibt es zahlreich, jedoch kein, die überzeugend wären, wie auch hier noch einmal ausführlich zusammengefasst. Der aufmerksame Leser wird sehen, dass diese Zusammenfassung ein wenig älter ist. Aber es kam auch bislang nichts wirklich Neuss zu diesem Thema hinzu.
Nun bereichtet aber die Daily Mail über eine neue Studie, die in der deutschen Presse aufgeriffen wurde und vom NDR bis hin zur BILD. Letztere zeichnet sich allerdings aus durch die schöne Überschrift: „ERSCHRECKENDE HANDY-STUDIE: Smartphone-Strahlung „kocht“ Spermien kaputt“ aus und durch Hinweis auf eine „britische Studie“, wohl weil der Redakteur den Artikel von der Daily Mail abgeschrieben hat.
Israelische Studie
Quelle dieser aktuellen News ist jedoch eine Studie der Universität Haifa in Israel. Die Presse zog sich fertig vorbereitete Häppchen der Studienergebnisse heraus, die in der Diskussion auftauchten und die – um fair zu bleiben – von den Autoren der Studie aufgrund der eingeschränkten Aussagekraft selbst in Frage gestellt wurden.
In einigen Artikeln wurden Zahlen aus der Studie zitiert. Bei 47% der Männer, die das Handy dauerhaft in weniger als 50 cm Abstand zum Hoden transportieren, verringerte sich die Zahl der Spermien deutlich. „Nur 11,1 % der Gesamtpopulation der Männer weisen laut der Studie eine ähnlich niedrige Spermienkonzentration auf, berichtet Heise online.

Keine Kontrollgruppe
Hätte man die Gesamtpopulation – oder besser noch – Männer ohne Handy als Kontrollen gehabt, dann wäre diese Aussage ja möglicherweise noch vertretbar gewesen. In der Studie selbst wird jedoch explizit darauf hingewiesen, dass sich um die Ergebnisse einer Umfrage zur Handynutzung handelte. Unter Patienten einer Kinderwunschklinik. Eine Befragung stellt einer der schwächsten Methoden dar, um Daten für eine Studie zu sammeln, jedoch ist die Hauptschwäche der Studie die Auswahl der Probanden. Natürlich sind in einer Kinderwunschklinik mehr Männer mit ohnehin schlechten Spermien und es gibt keine Daten darüber wie bei den 106 befragten Männern die Spermienqualität ohne Handy-Nutzung wäre. Wenn wir schon dabei sind: von den 106 befragten Männern wurden 26 ausgeschlossen wegen schwerwiegender anderer gesundheitlicher Probleme, es blieben also nur die Daten von 80 Probanden. Die Autoren der Studie kommen daher auch zu dem Schluss, dass die Ergebnisse zum Transport der Handys in Hodennähe nicht signifikant sind.
Was sind die wirklichen Ergebnisse der Studie?
Die Presse jedoch fand die Zahlen viel zu schön, um sie nicht trotzdem zu nutzen und daraus umfangreiche Vorschläge zur richtigen Handynutzung abzuleiten und interpretieren lustig vor sich hin. Hier die Fakten der Studie:
- Die Ergebnisse der Studie beziehen sich auf eine Befragung von 80 Patienten einer Kinderwunsch-Klinik
- Der einzige Parameter, der durch den Gebrauch des Handys beeinflusst wurde, war die Spermienkonzentration
- Gerade einmal 57% der untersuchten 80 Männer hatten eine normale Spermienkonzentration
- Männer mit einer verminderten Spermienkonzentration telefonierten signifikant häufiger mehr als eine Stunde täglich (61%) als Männer mit normaler Spermienkonzentration (39%)
- Signifikant mehr Männer mit schlechter Spermienkonzentration (zwei Drittel) telefonierten mit dem Handy, während es am Ladekabel hing
- Die Entfernung zwischen Hoden und Handy spielte keine Rolle (und da hätte man ja spontan am ehesten den Verdacht, weshalb dies auch in der Presse einfach so dargestellt wurde).
Zusammenfassung
Die Studie hat mehrere wichtige Mängel, welche die Studienleiter auch in ihren ergebnissen selbst aufzeigen:
- Die Stichprobe war zu klein für eine sinnvolle Untersuchung mehrerer Parameter
- Die Stichprobe ist nicht repräsentativ: Nur Patienten einer Kinderwunsch-Klinik
- Die Technik der verwendeten Handys wurde nicht erfasst
- Die Untersuchung fand zu einem definierten Zeitpunkt statt. Die Entwicklung der Fruchtbarkeit und die Handynutzung der Probanden über die letzten Jahre ist unbekannt
Ein Effekt der Handynutzung auf die Spermienproduktion kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, nur weil die Studien zu diesem Thema allesamt methodische Schwächen aufweisen. Aber die Panikmache der BILD-Zeitung und jenen, die von ihr abgeschrieben haben, ist sicher nicht zu rechtfertigen. Es bleibt eine interessante Frage, ob Handys, Laptops und andere technischen Geräte einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit haben können, diese Studie ist jedoch nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Wie auch keine ihrer Vorgänger.
So sehen es auch die Autoren – Ariel Zilberlicht und seine Kollegen : Sie kommen zu dem Schluss, dass es weiterer größer angelegter Studien über den Einfluss elektromagnetischer Strahlung bedarf, um die Ergebnisse ihrer Arbeit zu bestätigen.
Und was ist eigentlich mit zu engen Hosen?
Und wenn wir gerade so schön dabei sind: Enge Hosen machen Männer weder „impotent“ noch unfruchtbar.
Zilberlicht A, Wiener-Megnazi Z, Sheinfeld Y, Grach B, Lahav-Baratz S, Dirnfeld M
Habits of cell phone usage and sperm quality – does it warrant attention?
Reprod Biomed Online. 2015 Sep;31(3):421-6
Foto von cosmo_71
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Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.