Bundesarbeitsgericht: Keine Entgeltfortzahlung bei künstlicher Befruchtung

Das Bundesarbeitsgericht erkennt die Zeugungsunfähigkeit nicht als Krankheit an. Fehlzeiten durch eine Kinderwunschbehandlung sind daher selbst verschuldet und begründen daher keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei künstlicher Befruchtung.
Bild: Tim Reckmann / pixelio.de

Schlechte Spermien führen zur Zeugungsunfähigkeit und das ist dem allgemeinen Verständnis zufolge eine Erkrankung, die – sobald ein Kinderwunsch vorliegt – behandelt werden muss. Gelegentlich auch mit einem erhöhten medizinischen Aufwand bis hin zur künstlichen Befruchtung. Aber selbst, wenn weniger aufwendige Therapien, wie beispielsweise eine Insemination, durchgeführt werden, sind Arztbesuche häufig und Fehlzeiten die Folge.

Eigentlich alles selbstverständlich und ein übliches Vorgehen, so wie bei anderen Erkrankungen auch. Und auch bereits so von Arbeitsgerichten bestätigt: Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EFZG besteht auch für Arbeitsunfähigkeit, die durch eine künstliche Befruchtung bedingt ist. Das gilt jedenfalls für Behandlungen, die aufgrund eines von der Krankenkasse genehmigten Behandlungsplans im Sinne des § 27 a SGB V erfolgt sind (LAG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 2008 449/08). (openjur.de)

BAG: Entgeltfortzahlung bei künstlicher Befruchtung nicht rechtens

Das Bundesarbeitsgericht ist hier anderer Auffassung. Zur Vorgeschichte Die Beschäftigte einer Kindertagesstätte unterzog sich aufgrund einer Unfruchtbarkeit des Partners einer In Vitro Fertilisation. Im Rahmen dieser Behandlung meldete sie sich mehrfach krank und reichte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Entsprechend setzte der Arbeitgeber seine Zahlungen fort.

Als er nun merkte, dass diese Krankmeldungen durch eine Kinderwunschbehandlung entstanden, verlangte er die im Krankheitsfall gezahlten Gelder zurück, da er nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet gewesen sei.

Dieser Auffassung schloss sich das BAG an, wie die Legal Tribune Online berichtet:

Arbeitnehmer seien verpflichtet, ihre Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Ansonsten könne ein anspruchsausschließendes Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) vorliegen.

Das Bundesarbeitsgericht zieht also die Definition der Unfruchtbarkeit als Krankheit in Zweifel. Das steht zwar im Widerspruch zu vielen anderen Urteilen – insbesondere vor den Sozialgerichten – aber nun werden sich viele Arbeitgeber auf dieses Urteil berufen wollen und die Entgeltfortzahlung bei künstlicher Befruchtung ablehnen.

Als Patient ist man daher vermutlich am besten beraten, wenn man seinen Arbeitgeber nicht allzu detailliert mit den Ursachen seiner Erkrankung behelligt.

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Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.
 

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Kommentar

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24 Kommentare
  1. OSo schreibt

    Sehr seltsam, diese Entscheidung. Wirft es doch Fragen auf, wie z. B. : ist eine Entgeltfortzahlung nach Freizeitunfall, infiziertem Piercing, Raucherschaden, … dem AG zuzumuten? Denn auch in diesen Fällen hat der AN sich ja nicht entsprechend:
    "Arbeitnehmer seien verpflichtet, ihre Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Ansonsten könne ein anspruchsausschließendes Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) vorliegen." verhalten.
    Nächste Instanz EuGH?

  2. miramia schreibt

    Es dürfte sich um das Urteil
    5 AZR 167/16 handeln
    http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2016-10&nr=19033&pos=0&anz=13

    leider kann ich zu wenig juristendeutsch um es ganz auseinanderzuklamüsern, kann aber OSo nur zustimmen, wieso wird Aktivitäten/Gefährdungen, bei denen keine Ärzte beteiligt sind, trotzdem gezahlt?

    Die Frau war hier nicht die Verursacherin und über 40, die Sache wurde an das LAG zurück verwiesen (Sachverhalte noch nicht eindeutig geklärt), bleibt also spannend.

  3. Gästin schreibt

    Das finde ich absolut empörend. Wie schon oben genannt: Kinderwunschbehandlung steht hinter dem Raucherbein / Querschnitt nach Rennen auf dem Nürburgring…?

    Als hätten wir mit dem Bedarf einer solchen Behandlung nicht schon genug Leidensdruck, dann noch sowas? Nicht jeder AN hat die Möglichkeit von Gleitzeit etc für Arzttermine.

    Da wird man als Paar in einer solchen "Lage" noch zur Lüge gezwungen und der Hausarzt ebenfalls.

    Unfassbar.

  4. Maike Brümleve schreibt

    Da ist der Arbeitgeber auch noch eine Kindertagesstätte und dann so ein Verhalten.
    Ich hoffe, die Frau legt Widerspruch ein

  5. Melanie Neumann schreibt

    Ob ich einen unerfüllten Kinderwunsch habe oder überhaupt Kinder möchte geht den Chef überhaupt nichts an. Die Entscheidung des BAG kann ich nicht nachvollziehen!!!!
    Das ist für alle Arbeitnehmer(innen) mit unerfülltem Kiwu ein Schlag ins Gesicht!

  6. Kathrin KD schreibt

    Lass raten: Der Richter war ein Mann Ü 60.

  7. Sue Vonderbank schreibt

    Unglaublich

  8. Konny Gutke schreibt

    Tja was soll man dazu noch sagen, es ist einfach nur Traurig. Unfruchtbarkeit ist immer eine Folge einer Erkrankung, ob die psychische oder physisch ist, ob nun bei Mann oder Frau und der Leidensweg der Paare ist meist sehr lang. Finanziell ist es eine absolute Herausforderung und nur schwer zu meistern. Wenn einem dann noch der Lohn genommen wird, herzlichen Dank auch….Sehr kinderfreundlich

  9. Jule Heubner schreibt

    Ich würde eher tippen, dass es eine karrieregeile Frau war…

  10. Minna schreibt

    Bei der Bildunterschrift fehlt leider das "un" in "Zeugungsfähigkeit". Sorry, Berufskrankheit, habe ich sofort gesehen. Ansonsten ohne Worte.

  11. Tina Halt schreibt

    Das ist eine Bodenlose Dreckssauerrei…. aber unsere Politiker bekommen selbst wenn sie bescheissen lebenslange Rente!!! Dazu fehlt das Geld dann nicht

  12. Melanie Nagel schreibt

    Ja sehr kinderfreundliches Deutschland!!!

  13. Melanie Nagel schreibt

    Bestimmt ein christlicher Träger…

  14. PikaBuh schreibt

    In einer (Arbeits-)welt, in der sich Mitarbeiter wg. Muskelkater krank schreiben lassen, kann man sich über solche Urteile nur wundern….
    Bleibt weiterhin nur der Tipp die Klappe zu halten und die Kiwu AU´s beim Hausarzt des Vertrauens gegen was unverfängliches wie Kehlkopfentzündung oder Magen Darm zu tauschen…da kommt man auch nicht ins Plaudern 😉

  15. Mandy Jährig schreibt

    Was soll man dazu noch sagen, es ist einfach nur Traurig. Finanziell ist es eine absolute Herausforderung und man ich froh wenn man Unterstützung bekommt. Und jetzt kommt so ein Urteil sehr hilfsbereit und kinderfreundlich. Einfach nur traurig

  16. Ivonne Hartmann schreibt

    Nun ja man sollte auch vorsichtig sein gerade in Zeiten wo man sehr schnell ersetzbar ist und wirklich kein Arbeitgeber will ne schwangere haben….ich spreche aus Erfahrung….wir hatten eine ICSI und ich habe die Termine in den Feierabend legen lassen und für die Entnahme und das einsetzen Urlaub genommen…somit kann man umgehen gefragt zu werden was man denn schlimmes hatte….vorallem wenn auf dem Krankenschein dann kinderwunschklinik stehen würde.
    Von solch einem Urteil braucht niemand sich von seinem kinderwunsch abhalten lassen. ….es gibt genügend Wege

  17. Mel Labouche schreibt

    Scheußliches Verhalten!!!

  18. Mel Labouche schreibt

    Ich habe den Leidensweg der Reproduktions-Behandlung 16 Jahre ( natürlich mit Pausen/ eine Ehe zerbrach daran) lang erlebt:(
    Was man/ frau da alles aushalten muss.
    Es ist so unfassbar traurig, wie wenig man von keiner Seite unterstützt wird.
    Kaum einer hat Verständnis für diese ‚Erkrankung‘!
    Und ja; wir sind krank, unfassbar handlungsunfähig in der Zeit der Behandlung
    Damit ich keine AU von der KiWu-Klinik bekam, behandelte mein Gyn immer mit; er hatte Verständnis und unterstützte uns. Das tat gut! Denn ja; trauriger Weise muss man in der Zeit höchster hormoneller Belastung auch noch lügen
    Dass man in der heutigen Gesellschaft das Modell Familie ausgiebig, gewünscht leben will, das wird nicht / kaum akzeptiert.
    Nun bin ich 3 Jahre in Elternzeit, nachdem wir unseren Stern dann durch eine Adoption in die Arme schließen konnten
    Auch jetzt wird das nicht gern gesehen!
    3 Jahre; da wird jeden Tag gefragt; vermisst du dein Leben nicht?!
    NEIN verdammt!!!
    Denn das hier und jetzt ist unser LEBEN!!!!
    Kinder akzeptieren sich Zeit zu lassen und zu lieben und leben ❤️
    Nicht so die ‚Erwachsenen- Arbeitgeberwelt‘.
    Geht also alle eure Kinderwunsch nach! Schafft euch eine harte Schale in dieser Zeit an!
    Es lohnt sich!

  19. Panik schreibt

    Muss ich mir jetzt Sorgen machen???? Werden Arbeitgeber das prüfen???? Und wenn ja-wie weit in die Vergangenheit wird geschaut????
    Ich war bei unseren sieben ICSIs jedesmal AU-nach PU…die Kollegen wussten das auch….
    Habe gerade Panik!!!!!!!!

  20. Luzie*** schreibt

    Ich frage mich gerade wie das praktisch umgesetzt werden soll. Arbeitsunfähig ist man ja definitiv nach einer Punktion unter Narkose, daher ist auch eine AU gerechtfertigt.
    Und eine Diagnose kriegt der AG ja nicht mitgeteilt.

    Oder darf der Arzt dann keine AU nicht mehr ausstellen? Muss ein Vermerk darauf, wer Verursacher ist, bzw. ob Lohnfortzahlung gewährt werden darf oder nicht?

    Schlimm finde ich dass damit Kinderwunschbehandlungen wieder in den Bereich der Life Style Behandlungen (Schönheits-OPs etc.) gerückt werden, auch wenn das Urteil, bzw. die Begründung durchaus justisch nachvollziehbar ist.

  21. Estrela Yıldız schreibt

    Super geschrieben!
    Wir sind zwar "erst" 3 Jahre dabei, aber 3xGvnP, 3xICSI, 8xKryo und eine Fehlgeburt haben wir schon hinter uns. Ich war oft krank und bin es jetzt auch aufgrund anderer Probleme, ja und das würde ich auch immer wieder tun wenn mal wieder eine überstimulierung nachts an der Tür klopft (3 davon hatte ich bereits) oder ich Schwanger werde oder dann das baby wieder verlieren muss. Also ja, unser Kiwu ist uns wichtiger als mein Job! Punkt!
    Furchtbar wie Karriere fixiert die Menschheit heutzutage ist… Aber Alkoholiker bekommen von allen Seiten Aufmerksamkeit und hier und da eine Therapie bezahlt .

    Es freut mich zu lesen das es bei euch durch die Adoption dann noch geklappt hat ich finde 3 Jahre sogar zu wenig!! Man man was haben die Menschen für ein Problem. Genieße die Zeit!!

  22. Sabrina schreibt

    Dass ein Arbeitgeber nicht unbedingt Eltergeld zahlen möchte ist aus deren Sicht verständlich. Aber wie sieht es mit den Krankenkassen aus, bezahlen die Behandlungen die den Kinderwunsch fördern?

  23. Rebella schreibt

    Offenbar benutzen jetzt einige Arbeitgeber dieses Urteil als Freibrief, nicht nur bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgrund der assisdtierten Befruchtung selbst Lohnfortzahlung auszusetzen, sondern auch bei Folgeerkrankungen wie z.B. dem Überstimulationssyndrom.

    Dem allerdings kann ich so gar nicht folgen. Wenn eine Kinderwunschbehandlung als "Freizeitspaß" ausgelegt wird, der selbst nicht als Arbeitsunfähigkeit gilt, dann müssten Resultate von anderen Freizeitvergnügen gleichwertig behandelt werden. Also wenn ich dem Freizeitspaß Radfahren nachgehe und dabei mit dem Rad stürze, dann ist das ebenso eine Folge dieser Freizeitbeschäftigung. Trotzdem erhält man dann aber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Lohnfortzahlung. Hier muss Gleiches auch gleich behandelt werden.

  24. LilllyTheCat schreibt

    Einfach ätzend, wie einem als Kinderwunsch-Paar in Deutschland ein Stein nach dem anderen in den Weg gelegt wird. Als hätte man an seinem Schicksal nicht schon genug zu knabbern.
    Aber schön jammern, dass Deutschland immer älter wird und zu wenig Kinder auf die Welt kommen.