Künstliche Befruchtung: Was ändert sich unter der Ampelkoalition?

Im Koalitionsvertrag finden sich einige wesentliche Veränderungen zum Thema künstliche Befruchtung

Heute wurde der Koalitionsvertrag von den „Ampelparteien“ unterschrieben. Was wird sich unter der neuen Regierung bei der künstlichen Befruchtung ändern? Oder auch bei bislang vernachlässigten Themen wie gleichgeschlechtliche Paare oder Präimplantationsdiagnostik?

Seit Jahren steht die Reproduktionsmedizin und ihre Patienten im Abseits, wenn es um politische Maßnahmen geht. Wesentliche gesetzliche Änderungen folgten nur dem Zwang höchstrichterlicher Entscheidungen, wie zum Beispiel 2011 bei Zulassung der Präimplantationsdiagnostik. Nur sehr selten war ein echter Gestaltungswille erkennbar. So wie bei der Familienministerin Schröder und dem von ihr initiierten Kinderwunschförderungsgesetz.

Sonst aber fehlte jede Initiative. Standesrechtliche Fragen bei der Behandlung mit Spenderspermien wurde bislang nicht geklärt. Und noch immer muss bei verheirateten lesbischen Eltern ein Elternteil das Kind adoptieren. Es gibt  eine lange Liste von aufgeschobenen Fragen, die auf eine gesetzliche Regelung warten. Das aktuelle Embryonenschutzgesetz regelt wenig, im Wesentlichen ist  es eine lange Liste von Verboten. Und beim Thema Kostenübernahme wimmelt es von Logikfehlern (Warum muss man verheiratet  sein? Warum sind verheiratete lesbische Paare offenbar nicht verheiratet genug? Warum gibt es bei der Förderung durch die Länder einen solchen Flickenteppich?)

Wird jetzt alles besser?

Der Koalitionsvertrag (hier das gesamte Werk online) gibt zumindest Anlass zur Hoffnung. Auf der Seite 116 des Vertrags findet sich unter der Überschrift „Reproduktive Selbstbestimmung“ folgender Text:

Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen. Künstliche Befruchtung wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig sein. Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen. Der Bund übernimmt 25 Prozent der Kosten unabhängig von einer Landesbeteiligung. Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen. Wir stellen klar, dass Embryonenspenden im Vorkernstadium legal sind und lassen den „elektiven Single Embryo Transfer“ zu.
Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.

Was bedeutet das genau?

Ich wage einen Versuch der Interpretation. Im Koalitionsvertrag ist zum Thema Kosten geplant:

  • Auch die Behandlung mit Spenderspermien wird finanziell unterstützt
  • Auch bei der Behandlung lesbischer Paare mit Spenderspermien ist eine Kostenübernahme geplant
  • Auch unverheiratete Paare haben Ansprung auf eine finanzielle Zuwendung durch die Krankenkassen
  • Die Altersgrenzen (Obergrenze 40 bei der Frau und 50 beim Mann) werden überprüft. Das ist sinnvoll, weil diese Grenzen willkürlich und biologisch nicht begründbar sind.
  • Es wäre schön, wenn damit auch die  Altersuntergrenze (25 bei Mann und Frau) gemeint wären, denn diese Grenze ist nur willkürlich. Und es ist nicht schön, einer 23jährigen Frau mit schwerste Endometriose erklären zu müssen, dass sie noch 2 Jahre warten muss. Vor allem für die  Frau.
  • Aktuell übernimmt der Bund 12,5% der Kosten bei IVF und ICSI, wenn das Bundesland, in dem das Paar lebt, ebenfalls 12,5% beisteuert. „25% unabhängig von der Landesbeteiligung“ würde bedeuten, dass 50% (Krankenkasse), 25% (Bund) und 12,5% (Bundesland) übernommen würden. Damit blieben in den Ländern, die einen Teil der Kosten im Rahmen des Kinderwunschförderungsgesetzes übernehmen, für die Paare nur noch 12,5% der Kosten selbst zu bezahlen. Realistischer ist: Die Bundesländer werden ihr Zuschüsse einsparen und es kommt zu einer bundesweit einheitlichen Förderung. Daraus resultiert dann ein Selbstbehalt von 25% für die betroffenen Paare. Zunächst, denn „Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren„.
  • Die Kosten für die Präimplantationsdiagnostik wird übernommen.

Und zum Embryonenschutzgesetz sind folgende Änderungen vorgesehen:

  • Es wird (wieder) erlaubt, befruchtete Eizellen (im Text als Embryonen im Vorkernstadium bezeichnet) zu spenden.
  • Es wird erlaubt, aus mehreren Embryonen den besten auszuwählen. Der aktuelle Kompromiss (es werden so viele Embryonen weiterkultiviert, wie man benötigt, um die gewünschte Anzahl an qualitativ guten Embryonen zu erreichen = Deutscher Mittelweg) wird dann hinfällig. Und sogenannte „selektive Single Embryo Transfers“ werden uneingeschränkt möglich. Ich hatte  hier ja schon vor Jahren gefragt, ob wir uns „nur einen Embryo leisten können„. Jetzt noch eher.

Wichtige Neuerungen im Familienrecht

Hier ist Einiges geplant, siehe ab Seite 101. Bei dem Thema Kinderwunsch(-behandlung) werden zwei wichtige Änderungen genannt:

Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist

Bislang ist es nicht so und vor einiger Zeit habe ich den Sinn der aktuellen Regelung auch hier in Frage gestellt.

Wir werden ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren einführen, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen. Das Samenspenderregister wollen wir auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden öffnen.

Für Kinder, die mit Hilfe einer Samenspende gezeugt wurden bedeutet dies eine erhebliche Vereinfachung.

Und es werden heiße Eisen angepackt. Endlich!

  • Abtreibung raus aus dem Strafgesetzbuch
  • Eizellspende legalisieren
  • Leihmutterschaft legalisieren

Das alles soll „geprüft werden„. Immerhin wird also wahrgenommen, dass es sich hier um Themen handelt, über die es sich nachzudenken lohnt. Man wird sehen

All das geht in die richtige Richtung und ist sehr zu begrüßen. Wir werden sehen, was davon auf dem langen Weg durch die Instanzen übrigbleiben wird.

 

Noch Fragen?

Dann haben Sie in unserem Kinderwunschforum die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen oder Fragen an unsere Experten zu richten. Und hier finden Sie die Übersicht über die andere Foren von wunschkinder.de. Die am häufigsten gestellten Fragen haben wir nach Themen geordnet in unseren FAQ gesammelt.

Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.
 

Kommentar

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2 Kommentare
  1. sanogo schreibt

    Hallo,

    auch wenn es uns nicht mehr betrifft, freue ich mich, dass es zumindest angepackt werden soll.
    Angesichts der pandemischen Lage stellt sich mir dann noch die Frage, welche Prio das Thema im Moment wohl hat…

    LG sanogo

  2. Elmar Breitbach schreibt

    Schon richtig: Bis Corona tatsächlich nicht mehr ganz oben auf der Liste steht, kann Einiges an Zeit vergehen. Und die reproduktionsmedizinsche Themen haben leider selten Priorität. Warten wir es ab 😉