Neue Richtlinien zur Kostenübernahme bei ICSI

Seit dem 2. Juni 2017 haben sich die Voraussetzungen für die Kostenübernahme bei ICSI geändert

Die Übernahme von Kosten bestimmter medizinischer Behandlungen wird durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (Ärzte und Krankenkassen) festgelegt. So auch für die künstliche Befruchtung oder die Kostenübernahme bei ICSI, die nun aktuell geändert wurden.

Wen betrifft es?

Die Änderung der Richtlinien betrifft gesetzlich versicherte Paare, die eine Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) zur Erfüllung ihres Kinderwunschs benötigen. Auch die Beihilfe orientiert sich meist an diesen Vorgaben und wird es vermutlich auch in Zukunft tun.

Privat versicherte Paare oder vielmehr Paare, bei denen der Verursacher privat versichert ist (also bei der ICSI der Mann mit eingeschränkter Spermienqualität), betrifft die Änderung nicht. Es gibt zwar zunehmend mehr Private Versicherungen, die sich auch an der Vorgehensweise der gesetzlichen Krankenkassen orientieren, aktuell ist es jedoch eher die Ausnahme.

Ab wann gilt die Änderung?

Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung
 geben für Übernahme der Kosten einen genehmigten Kostenplan vor. Kostenpläne, die bereits vor dem 2. Juni 2017 genehmigt wurden, behalten ihre Gültigkeit. Wird jedoch ab diesem Datum ein neuer Antrag gestellt, dann gelten die neuen Regelungen zur Kostenübernahme bei ICSI.

Warum die Änderungen?

Bislang galten folgende – in den Richtlinien unter 11.5 aufgeführten – Bedingungen zur Genehmigung der ICSI durch die gesetzlichen Krankenkassen. Voraussetzung ist eine…

…männliche Fertilitätsstörung, nachgewiesen durch zwei aktuelle Spermiogramme im Abstand von mindestens 12 Wochen, welche unabhängig von der Gewinnung des Spermas folgende Grenzwerte – nach genau einer Form der Aufbereitung (nativ oder swim-up-Test) – unterschreiten:

MerkmalIndikationsbefund alternativ
Nativswim-up
Konzentration (Mio/ml)< 10< 5
Gesamtmotilität (%)< 30< 50
Progressivmotilität (WHO A in %)< 25< 40
Normalformen(%)< 20< 20

Sind nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt, so ist das entscheidende Kriterium die Progressivmotilität. Sofern diese unter 15 % im Nativsperma oder unter 30 % im swim-up-Test liegt, so liegt eine Indikation für die Intracytoplasmatische Spermien-injektion vor. Die Beurteilung des Spermas hat nach den gültigen WHO-Vorgaben zu erfolgen.

Und da liegt nun das Problem: Die WHO-Richtlinien zur Bestimmung der Spermienqualität wurde 2010 geändert. Dabei fiel die Differenzierung zwischen sehr schnell vorwärtsbeweglichen Spermien (WHO A) und langsam vorwärts beweglichen Spermien (WHO B) weg und die progessiv motilen Schwimmer werden seitdem zusammengefasst.

Erhebliche Veränderungen gibt es auch bei den Angaben für eine normale Morphologie (früher 15%, neu 4%) und der Angabe für eine normale Spermienkonzentration, welche von 20 Mio/ml auf 15 Mio/ml reduziert wurde.

Es gibt keine Grenzwerte, ab denen eine ICSI sicher notwendig ist

Eizelle nach dem Eisprung
Ob eine ICSI zur Befruchtung einer Eizelle notwendig ist, lässt sich nicht immer sicher vorhersagen © pco-syndrom.net

Die bislang gültigen Vorgaben, ab denen eine ICSI medizinisch notwendig ist, bezog sich auf die alten WHO-Standards und – das darf in diesem Zusammenhang auch einmal gesagt werden – waren weitestgehend willkürlich gezogene Grenzwerte. Ein Beweis dafür, dass ab diesen Werten eine normale IVF ohne ICSI nicht mehr funktionieren kann gab es nicht.

Daher wurde 2012 das Institut für Qualitätssicherung im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, neue Grenzwerte festzulegen. Und natürlich möglichst welche, die medizinisch nachvollziehbar sind.

Um es kurz zu machen: Das Projekt scheiterte und das auch recht absehbar. Der GBA schreibt in seiner Begründung zur Änderung der Richtlinien:

Da wissenschaftlich validierte Grenzwerte für Spermiogrammparameter, die eine ICSI begründen, nicht ableitbar sind, wurden die bisher unter Nr. 11.5 der Richtlinien vorgegebenen Werte gestrichen. Gleichwohl bilden die Spermiogrammparameter nach wie vor einen zentralen Teil der Gesamtschau zur Beurteilung des Ausmaßes der Fertilitätsstörung.

Was genau wurde geändert?

Alles, was oben in dem blauen Kasten als Voraussetzung für die ICSI genannt wird, wurde nun gestrichen. Ersetzt wurde es durch folgenden Text:

„Für die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) […]: Schwere männliche Fertilitätsstörung, dokumentiert durch zwei aktuelle Spermiogramme, die auf der Grundlage des Handbuchs der WHO zu „Examination and processing of human semen“ erstellt worden sind. Die Untersuchung des Mannes im Rahmen der Prüfung der Leistungsvoraussetzungen nach Nummer 1 durch Ärztinnen oder Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Andrologie“ muss der Indikationsstellung vorausgehen.“
Die Richtlinien zur Kostenübernahme bei ICSI haben Gesetzescharakter Bildlizenz: clipdealer.de

Was bedeutet das konkret für die Kostenübernahme bei ICSI?

Es werden keine Grenzwerte mehr genannt, sondern lediglich der Begriff „schwere männliche Fertilitätsstörung“ eingeführt. Grundlage für diese Beurteilung sind weiterhin die Richtlinien der WHO von 2010 (hier die Normwerte), was jedoch eine schwere männliche Fertilitätsstörung ist, wird nicht weiter ausgeführt.

Der früher zwingend notwendige zeitliche Abstand von 12 Wochen zwischen zwei Spermiogrammen fällt weg. Jedoch sind weiterhin zwei Spermiogramme notwendig, um den Einsatz der ICSI zu rechtfertigen.

Die wichtigste Änderung

Es muss nun vor der Erstellung eines Kostenplans für die ICSI eine Untersuchung des Mannes durch einen Andrologen durchgeführt werden. Die gleiche Untersuchung durch einen Urologen reicht dazu nicht aus.

Es ist leider absehbar, dass es hier zu Engpässen kommen kann und wird, denn die Zahl der Andrologen ist in Deutschland (nicht zuletzt wegen restriktiver Zulassungsvoraussetzungen) sehr niedrig. Und nicht ganz unwichtig auch, dass es keine Abrechnungsziffer für diese „ICSI-Untersuchung“ gibt, es sich für die Andrologen also nicht lohnt.

Zusammenfassung

  • Es geht ausschließlich um die Kostenübernahme bei ICSI
  • Es betrifft gesetzlich versicherte Paare (und Beihilfeberechtigte)
  • Die bisher in den Richtlinien genannten Grenzwerte (blauer Kasten oben) fallen weg
  • Weiterhin sind zwei Spermiogramme notwendig, aber der Abstand von 12 Wochen fällt weg.
  • Eine Untersuchung durch einen Andrologen (nicht „nur“ Urologen!) ist vor Erstellung des Kostenplans notwendig.
  • Andere Voraussetzungen zur Kostenübernahme (Heirat, Altersgrenzen etc.), die in den Richtlinien aufgeführt werden, bleiben unverändert. Ebenso der Umfang der Kostenübernahme.

Noch Fragen?

Dann haben Sie in unserem Kinderwunschforum die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen oder Fragen an unsere Experten zu richten. Und hier finden Sie die Übersicht über die andere Foren von wunschkinder.de. Die am häufigsten gestellten Fragen haben wir nach Themen geordnet in unseren FAQ gesammelt.

Dr. med. Elmar Breitbach ist Facharzt für Frauenheilkunde, Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Er ist als Reproduktionsmediziner seit mehr als 30 Jahren in der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit tätig. Dr. Elmar Breitbach ist Gründer und Betreiber von wunschkinder.de.
 

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Kommentar

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9 Kommentare
  1. […] Änderung der Richtlinien […]

  2. schoko schreibt

    Hallo,
    wie schaut es aus wenn beim Mann 5 Spermiogramme beim Andrologen und Urologen vor 6 Jahren Azoospermie zeigten und wir nun auf das restliche Tese Material für das Geschwisterchen angewiesen sind? Diagnose war obstruktive Azoospermie.
    Muss der Mann nochmals seine Azoospermie beweisen?

  3. DW schreibt

    Hallo Herr Breitbach, würden Sie mir bitte erläutern auf welcher Basis diese Änderung greift? Ich habe sowohl mit meiner Kinderwunsch Praxis als auch mit meiner Krankenkasse telefoniert. Beide (!!!) wissen von nichts. Ich bin stark irritiert. Es geht bei uns demnächst um ein Geschwisterkind. Mich interessiert, ob die neuen Regelungen auch uns betreffen. Danke und beste Grüße DW

  4. Elmar Breitbach schreibt

    Das ist erstaunlich, da beide es wissen müssten. Es handelt sich um eine Richtlinie des Bundesausschusses, die für alle geplanten ICSI gilt, für die kein genehmigter Kostenplan vorliegt.

  5. Elmar Breitbach schreibt

    @ Schoko,

    in dem Text steht nicht, WANN der Mann durch einen Andrologen untersucht werden muss, also in welchem zeitlichen Zusammenhang zur Therapie. Ist er also vor mehreren Jahren untersucht worden und oiegen entsprechende Befunde vor, dann sollte das reichen. das wäre zumindest meine Interpretation der neuen Richtlinie.

  6. MissMolli schreibt
  7. DW schreibt

    Hallo nochmal, ich muss unseren Fall auch noch einmal genauer darlegen. Untersuchung meines Mannes durch Urologen und Kinderwunschzentrum ist erfolgt. Es erfolgte eine ICSI wegen zu langsamer Spermien…durch Spermiogramme bezeugt. Diese wird die Kiwu Praxis nochmal durchführen für den Versuch für ein Geschwisterkind. Wozu noch die Untersuchung durch den Andrologen? Organisch war alles ok bei meinem Mann. Da es kaum Andrologen gibt u wir his Oktober auf einen Termin warten müssen, können wir nicht eher mit der Behandlung starten. Soll das alles so sein auch bei Paaren, die schon eine erfolgreiche Behandlung hinter sich haben? 2. Frage: die meisten Ärzte sind Urologen mit Zusatzausbildung Andrologie. Das führen sie aber nicht in ihrem Titel oder in der Praxisbezeichnung mit auf. Sind solche Ärzte anerkannt für die Untersuchung? Wie kann der Arzt das beweisen, dass er auch Androloge ist? Ich bin aktuell echt geknickt, denn unsere Kiwu sagte uns Anfang des Jahres es ist beim Geschwisterkind alles einfacher bzgl der Voruntersuchungen und jetzt ist es das ganz u gar nicht, da man so schlecht an Termine beim Andrologen kommt. Es werden einem wieder mal Steine in den Weg gelegt. Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus.

  8. Elmar Breitbach schreibt

    Warum das so sein soll mit dem Andrologen hat eher berufspolitische Gründe. Diese zu hinterfragen ist wenig sinnvoll.
    Auch für Paare, die bereits erfolgreich behandelt wurden, gilt diese Regelung.
    Andrologie ist eine Zusatzbezeichnung, die von den Ärztekammern nach Erfüllung zahlreicher Voraussetzungen gewährt wird.
    Die Andrologen in Ihrer Umgebung können Sie bei der Ärztekammer erfragen.

  9. Rebella schreibt

    Am 25.06.2018 gab es eine öffentliche Expertenanhörung im Familienausschuss zum Antrag der FDP: „Kinderwünsche unabhängig vom Wohnort fördern“ der FDP,
    Ich kann allesn, die sich für das Thema „Kostenübernahme bei assistierter Befruchtung“ interessieren, wärmstens ans Herz legen, sich diese Expertenanhörung anzuschauen:
    https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7246764#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03MjQ2NzY0&mod=mediathek
    Es wurde nämlich (fast) all das angesprochen, was wir hier schon seit 15 Jahren, nämlich seit Beschluss dieser unsäglichen „Gesundheitsreform 2004“ immer wieder sagen. Hier wichtige Aussagen der Experten. Die meisten dieser Aussagen wurden von den meisten Experten geteilt.
    (1) Einkommensschwache Menschen sind keine schlechteren Eltern als wohlhabende.
    (2) Wenn Kosten für reproduktionsmedizinische Behandlungen von der Gesellschaft bereitgestellt werden, dann sollte dies aus ethischer Sicht nach dem Gleichheitsgrundsatz geschehen. Z.B. ist es Diskriminierung, wenn man einer fortpflanzungsbehinderten lesbischen Frau die Kostenübernahme für die IVF nicht gewährt, wenn eine heterosexuelle Frau diese Kostenübernahme erhält.
    (3) Es sollte wieder nur eine Stelle geben, die die Kosten übernimmt. Alles andere ist viel zu viel Verwaltungsaufwand. Eine Kostenübernahme nur von einigen Bundesländern sorgt immer für Ungerechtigkeit.
    (4) Die Solidargemeinschaft sollte wieder 4 statt nur 3 Versuche bezahlen.
    (5) Die Altersgrenze „unter 25“ ist beliebig. Es macht keinen Sinn, diese weiterhin aufrecht zu erhalten. Während 5% der Patienten im Beratungsgespräch unter 25 sind, erscheinen in IVF Register nur 1% der Behandelten als unter 25.
    (6) Es sollten Ausnahmeregelungen für 40 – 45-jährige Frauen zugelassen werden, z.B. , (in Anlehnung an ein BGH-Urteil) wenn die Chance auf eine Schwangerschaft mindestens 15% ist.
    (7) Social Freezing wird nur dann für eine Kostenübernahme befürwortet, wenn eine medizinische Indikation vorliegt.
    (8) Es wäre zu empfehlen, wenn alle Menschen, die sich in reproduktionsmedizinische Behandlung begeben, ein niedrigschwelliges Beratungsangebot erhalten.
    (9) Der Gesetzgeber sollte endlich den elektiven SET ermöglichen, damit wir Mehrlingsschwangerschaften und damit auch Folgekosten reduzieren können.
    (10) Es macht wenig Sinn, sich bei der Diskussion der Kostenübernahme von reproduktionsmedizinischen Leistungen am Krankheitsbegriff zu orientieren. Besser wäre es, zu sagen, Paare mit Kinderwunsch haben eine Legitimation und wir wollen die Erfüllung des Kinderwunsches fördern, weil er nicht pathologisch, sondern nachvollziehbar ist.